140 Jahre Geburtstag feiern!
Das ist doch ein Anlass! Und für einen solchen Anlass nehme ich auch sehr gerne eine längere Anreise zur Geburtstagsfeier-Location in Kauf. Zumal der Weg dorthin mit Kindheitserinnerungen gespickt ist.
Auf dem Weg nach Stechelberg im Lauterbrunnental liegt der Thunersee, inmitten der Region des Berner Oberlandes.
Ich war erst neun Jahre alt, als wir hier unseren ersten Urlaub mit dem Wohnwagen verbrachten. Im Jahr davor war es noch ein 4-Personen-Familienzelt und davor ein kleines 2-Personen-Zelt, in dem wir Kinder quer und mittig auch Platz fanden und welches wir nur für "Notfälle" dabei hatten.
Ein solcher Notfall trat damals schließlich ein: Obwohl das Schild "Zimmer frei" anzeigte, erhielten meine Eltern zu oft die Aussage "aber ohne Kinder". Also testeten wir das kleine Notfall-Zelt und fanden riesigen Gefallen am Camping! Seit dem ließ uns das Campen nicht mehr los.
Und sobald wir zukünftig auf den Campingplätzen ankamen, bauten meine Eltern Zelt bzw. Wohnwagen/Vorzelt auf und ich - düste direkt über den Platz, fand neue Freunde, genoss die Freiheit und das draußen Rumstromern bis es dunkel wurde. Genial!
Und da wir bei unserer Anreise sehr gut in der Zeit liegen, schauen wir gerne mal am Thunersee direkt vorbei.
Die Manorfarm - unser Campingplatz am See seinerzeit - gibt es noch immer. Sogar unseren alten Standplatz mache ich ausfindig - kann mich noch ganz genau erinnern. Auch kommen die Erinnerungen wieder an unsere Camping-Nachbarn aus Garbsen, mit denen ich noch über viele Jahre hinweg eine tolle Brieffreundschaft aufrechterhalten konnte. Schöne Kindheits-Erinnerungen.
Zwischen Thunersee und Brienzer See führt uns der Weg schließlich in Richtung Stechelberg durch das Lauterbrunnental.
Es ist eine wunderschöne Strecke, gesäumt von vielen Wasserfällen, immer entlang des Flusses Weisse Lütschine, begleitet von Eiger, Mönch, Jungfrau, Kleine Scheidegg.... Was für eine Kulisse, die wir hier erleben dürfen!
Nicht ein Campíngplatz wird uns die kommenden Nächte beheimaten - obwohl es hier in Stechelberg einen idyllischen kleinen Platz inmitten des Ortes gibt. Wir alle sind untergebracht im Alpenhof - ein typisch im Schweizer Stil erbautes Gästehaus aus 1906. Zwischendurch in der Funktion als Naturfreundehaus ist der Alpenhof heute ein privates Gästehaus und liegt wunderbar (fast) am Ende dieses Tales.
Gerade angekommen gilt es, erst mal die fußläufige, nähere Umgebung kennenzulernen. Etwa 250 Einwohner zählt dieser Ort, der als Ausgangsort u.a. auch für Wanderer, Mountainbiker und Bergsteiger dient. Auch sind die senkrechten Steilwände des Tales eine ausgezeichnete Kulisse für die vielen Gleitschirmflieger, die sich in der warmen Abendluft immer höher kurbeln und schließlich auf dem Landeplatz in Stechelberg hoffentlich sicher landen. Wie sich ein Gleitschirmflug so anfühlt und wieviel Spaß es macht, wenn die Thermik einen trägt, durfte ich in Südtirol bei einem Tandem-Flug erleben.
Gerade diese Steilwände sind es aber auch, die die Base-Jumper faszinieren. In einem Jahr soll es hier bis zu 30.000 Sprünge geben. Bis ich realisiert habe, was sich dort gerade an der Steilwand tut und dass es ein Base-Jumper ist, der sich von der Wand ins Tal hinabstürzt, ist der Jumper auch schon aus meinem Blickfeld verschwunden. Wenige Sekunden freier Fall, rechtzeitig den Fallschirm öffnen, Reserveschirm gibt's nicht, es bliebe sowieso keine Zeit, diesen auszulösen. Unglaublich, was für diesen "Kick" riskiert wird - das Lauterbrunnental ist auch bekannt für die vielen (tödlichen) Unfälle in dieser Sportart.
Bekannt ist es aber auch als Teil des UNESCO-Welterbes Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch. Die gewaltigen Bergketten, die 3.000 und 4.000 m hohen Gipfel, die Gletscher und Höhenunterschiede prägen diese Region und machen sie einzigartig. Atemberaubend schön.
Vom Lauterbrunnental aus ist man auch schnell auf dem Weg zum Jungfraujoch. Erst mit der Zahnradbahn zur Kleinen Scheidegg, dann weiter mit der Jungfraubahn zum mit 3.454 m höchstgelegenen Bahnhof in Europa - und man ist angekommen am Top of Europe. Die Kosten für die Hin- und Rückfahrt belaufen sich allerdings auf fast 200 CFH, so dass wir uns dafür entscheiden, den Blick nicht vom Jungfraujoch zu genießen, sondern auf das selbige.
Wir fahren also mit der kleinen, fast schon nostalgischen Luftseilbahn von Isenfluh, welches ca 10 km von Stechelberg talabwärts liegt, die 500 Höhenmeter hinauf nach Sulwald auf 1.520 m.
Oben angekommen haben wir einen fantastischen Blick auf das Panorama der schneebedeckten Gipfel von Eiger (3.970 m), Mönch (4.099 m) und Jungfrau (4.158 m).
Der Eiger hat mit 1.800 m die höchste Felswand der Alpen. Der Gipfel des Eigers wurde bereits 1858 erstmals bestiegen, im Jahr davor konnte der Mönch erklommen werden, die Jungfrau bereits 1811. Die Wengernalp am Fuße der Jungfrau war einst im Besitz der Nonnen des Klosters Interlaken. Man geht davon aus, dass der Name "Jungfrau" hieraus abgeleitet wurde.
Wir machen uns auf den Weg und spazieren erst mal gemütlich zum Aussichtspunkt Sulwald, nicht ohne immer mal wieder einen Schulterblick zu wagen auf die imposante Bergwelt der Berner Alpen. Jetzt im Frühjahr ist das Farbenspiel sehr intensiv. Schneebedeckte Gipfel, strahlend blauer Himmel, saftiges Grün der Wiesen, das Gelb des Löwenzahns, dazwischen graue Felsen und immer mal wieder farbenfrohe blaue, lila, weiße Blüten verschiedenster Blumen. Dazu eine ungeheure Ruhe und klare Luft. Fantastisch.
Nach 20 Minuten erreichen wir bereits den Aussichtspunkt Sulwald und haben einen tollen Blick auf Matten bei Interlaken und rechts auf den Gebirgszug Harder Kulm, der zu den Emmentaler Alpen gehört.
Die Sonne hat ihren Höchststand erreicht, während wir weiter zum Sulzbachwasserfall wandern. Schon von weitem hört man ihn, kaum um die Kurve spürt man ihn: der Wind treibt die Gischt des etwa 200 m herabstürzenden Wassers zu uns. Die Erfrischung tut in dieser Mittagshitze gut.
Der Weg führt weiter durch den schattigen Guferwald zurück nach Isenfluh. Nach einer längeren Rast in Isenfluh und kurzem Transport nach Lauterbrunnen beschließen wir, ab hier die letzten fünf Kilometer bis Stechelberg entlang der Lütschine zurück zu spazieren, um durch die Kühle des Tales und des Flusses der Schwüle dieses Nachmittags etwas entgegenzusetzen.
Der Schwüle folgt nachts das Gewitter. Noch am nächsten Morgen regnet es, so dass Plan B - wetterunabhängige Aktivitäten - zum Einsatz kommt. Wir fahren nach Thun, um die Stadt kennenzulernen, welche am Ausfluss der Aare aus dem Thunersee liegt. Die Regenpausen werden genutzt, um vor historischer Kulisse durch die Gassen und über die Holzbrücken zu flanieren. Da man auch auf einem Schiff gut im Trockenen sitzt, entschließen wir uns zu einer Schifffahrt über den Thunersee, wohl wissend, dass es in Thun noch das Schloss zu sehen gäbe, die Stadtkirche, das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert.....
Und während wir so über den See schippern, hört der Regen auf und die Sonne zeigt sich. So ist's natürlich noch 'n Ticken schöner, die Fahrt und den Fahrtwind zu genießen.
Mit dem 1906 erbauten Schaufelraddampfer "Blümlisalp" genießen wir die gut zweistündige Fahrt Richtung Süden nach Interlaken.
Benannt ist der Dampfer nach einem Bergmassiv im Berner Oberland.
Anfang der 70er Jahre wurde das Schiff außer Betrieb gesetzt und sollte verschrottet werden. Nach 20 Jahren ungenutztem Rumstehen wurde der Schaufelraddampfer über zwei Jahre renoviert, so dass er nun seit 25 Jahren weiter seine Runden über den Thunersee drehen kann. Uns freut's!
Zurück geht's von Interlaken mit der Bahn nach Thun. Obwohl wir falsche Tickets gelöst haben, dürfen wir - ohne Nachzahlung - unsere Rückreise an den Ausgangspunkt unserer Schifffahrt fortsetzen. Vielen Dank an die Schweizer Bahn.
Und weil wir noch nicht nass genug an diesem Tage wurden, machen wir auf dem Rückweg nach Stechelberg noch kurz Station in Lauterbrunnen - der Staubbachfall liegt ja praktisch auf dem Weg. Dieser 297 m hohe Wasserfall - der zweithöchste in der Schweiz - ist jetzt in Frühjahr/Sommer zugänglich und über eine Felsengalerie gelangen wir hinter die stürzenden Wassermassen.
Bekannt ist der Staubbachfall auch dadurch, dass sich Goethe 1779 auf seiner zweiten Schweizreise durch diesen hat inspirieren lassen und den "Gesang der Geister über den Wassern" verfasste.
Und die 140 Jahre Geburtstag? Die haben wir gut gefeiert. Abends im und rund um den Alpenhof, mit Schweizer Life-Musik, eigenen Gesängen oder CD - und alles vor dieser herrlichen Kulisse.
Es heißt Abschied nehmen.
Von den Gastgebern. Den Gästen. Der Kulisse. Dem Alpenhof.
Wunderschön war's.
Gehaichnis.
Kommentar schreiben
Karin (Montag, 05 Juni 2017 22:32)
Liebe Anja,
mit Freude habe ich deinen Bericht übers Berner Oberland gelesen. Besonders gefallen haben mir die vielen Infos und die schönen Fotos.
By the way - war das 2-Personenzelt orange??
Liebe Grüße, Karin
Anja (Montag, 05 Juni 2017 22:59)
Liebe Karin,
vielen lieben Dank für das Feedback!
Ja, es stimmt: das "Notfall-Zelt" war das Orangene von C.K.
Liebe Grüße, Anja
Dienstag 06.07. 8:30 (Dienstag, 06 Juni 2017 08:30)
Toller Bericht,war schon öfter mit der Familie in dieser Gegend (wanderungen am Fuß
des Eigers,Jungfraujoch und Surfen auf dem See,zuletzt voriges Jahr als Betreuer von Michael bei dem Marathon von Interlaken zur kleinen Scheidegg.Schöne Zeit
noch,wir sehen uns auf der Vortour.
LG Rudi
Klaus (Dienstag, 06 Juni 2017 13:15)
liebe anja,
schon toll wie sich lebens- und sehnsuchtswege wie auch leicht verblasst orangefarbene DREI-personen-notfallzelte treffen.
schöner bericht von schönen orten.
lg CK